Gemeinderäte verzweifelt gesucht

 

Stuttgart Auf der Suche nach Kandidaten für den Gemeinderat gehen die Sozialdemokraten in Ehingen (Alb-Donau-Kreis) neue Wege: Eine „Findungskommission“ aus vier Genossen ist derzeit auf der Suche nach Kandidaten für die Gemeinderatswahl am 25. Mai. Nicht einfach, denn die derzeit vier ehrenamtlichen SPD-Räte haben in der Unionshochburg mit absoluter CDU-Mehrheit zwar wenig zu sagen, aber jede Menge Arbeit. Wer Beruf, Familie und Ehrenamt unter einen Hut bekommen möchte, drängt selten nach einem Mandat, dass zusätzlich Arbeit und zuweilen auch Ärger verspricht.

Darum wirbt die Partei nun mit offener Liste: Man muss nicht in der SPD sein, um für die SPD in den Gemeinderat zu kommen. Trotzdem ist die Suche zäh, zumal die Partei Männer und Frauen abwechselnd aufstellen möchte – bisher ist das Ratsquartett männlich. „Ich hatte gerade eine Mutter von drei Kindern. Die wäre perfekt gewesen, doch sie hat aus Zeitgründen abgesagt“, so Deckwitz.

Die Verpflichtung schreckt

Deckwitz ist nicht allein. Überall im Land suchen Parteien derzeit nach Kandidaten für Gemeinderäte und Kreistage. Und das wird schwieriger: In Bad Wurzach (Kreis Ravensburg) ist einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa zufolge offen, ob die Grüne Liste (GOL) überhaupt antreten kann. „Stand jetzt wird es überhaupt keine Liste geben. Mehr als rumfragen kann ich nicht“, sagt GOL-Mitglied Ulrich Walz.

Interessenten zu finden werde immer schwerer, sagt auch Paul Witt, Rektor der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl. „Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Menschen sich in der Regel nicht mehr für längere Zeit binden und verpflichten wollen. Dasselbe Problem haben auch die Vereine mit ihren Mitgliedern.“ Trotzdem glaubt Witt, „dass es letztendlich doch gelingen wird – allerdings mit großen Mühen – vernünftige und ordentliche Gemeinderatslisten zusammenzustellen.“ Immerhin ist erst Ende März Stichtag.

Mancherorts läuft es gut

Die Situation ist durchwachsen, und längst nicht überall so schlecht wie in Spaichingen (Kreis Tuttlingen), wo der Dauerkrach zwischen Bürgermeister und Rat manche Kandidaten abschreckt. „Äußerst zufrieden“ ist zum Beispiel Johannes Thalheimer, der Vorsitzende der Freien Wähler in Aalen. Auch Alfons Viellieber von der Markdorfer CDU hat seine Liste schon gefüllt: „Das war nicht ganz einfach, aber gefühlt ist es uns leichtergefallen als vor fünf Jahren“, sagt er. Und auch Matthias Klemm, der zwei von vier grünen Räten in Friedrichshafen ersetzen muss, hat seine Liste komplett. 40 Namen stehen drauf, nicht alles Parteimitglieder, aber etwa die Hälfte Frauen. „Wir sind froh, dass es so gut gelaufen ist“, sagt Klemm.

Etwas weiter westlich am Bodenseeufer möchte die Stadt Überlingen Eltern die Kommunalpolitik schmackhafter machen: Den Räten soll während der Sitzungen die Kinderbetreuung bezahlt werden. Grund: „Im Gemeinderat fehlt die Gesellschaftsgruppe der Eltern fast vollständig“, klagt Stadtsprecher Raphael Wiedemer-Steidinger.

Kein Spiegelbild der Gesellschaft

Tatsächlich sind die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker kein Spiegelbild der Gesellschaft, weiß auch Professor Witt. 2009 hat seine Hochschule Tausende Gemeinderäte im Land befragt. Doch ob sich das ändern lässt, sei offen. „Selbst wenn die Listen entsprechend der Bevölkerungsstruktur zusammengesetzt wären, würden die Wähler meines Erachtens Persönlichkeiten wählen, die im Ort bekannt sind und etwas gelten, sogenannte Honoratioren“, sagt Witt.

Er sieht noch ein anderes Problem: Die prozentuale Wahlbeteiligung könne durch die Senkung des Wahlalters und die wachsende Politikverdrossenheit weiter sinken – bei der letzten Wahl 2009 waren es noch 50,7 Prozent. Dies könnte ein größeres Legimitationsproblem werden als knappe Kandidaten. „Ich glaube nicht, dass die Demokratie nicht mehr genug Repräsentanten findet, sie wird andere Repräsentanten finden als früher. Ob das schlechter sein wird oder besser, vermag ich nicht zu beurteilen“, sagt Witt.

Von Klaus Wieschemeyer und unseren Lokalredaktionen Schwaebische Zeitung