Der Stadtstreicher – Kolumne Nr. 26


Stuttgart 21 und was wir daraus lernen sollten

Der Schlichterspruch von Heiner Geissler, der nachfolgend auszugsweise im Wortlaut – soweit er auch allgemein für die Demokratie und deren Spielregeln wichtig ist – wiedergegeben wird, hat einiges sehr Nachdenkens wertes hervorgebracht. Vor allem wurde für Stuttgart 21 aufgezeigt, dass die bisherigen Planungen sehr einseitig und herrschaftlich gehandhabt wurden. Dies ist zwar gesetzlich nicht zu beanstanden aber doch von oben herunter in Gutsherrenart von der Bahn und vom Land durchgezogen wurden. Dabei ist nicht nur die Öffentlichkeitsmeinung weitgehend ignoriert worden sondern das Objekt selbst ist auch mit Mängeln und Schwachstellen behaftet. Also war dieses Verfahren weder für die Demokratie noch für das Vorhaben segensreich. Die Gegenwehr aus der Bevölkerung ist somit mehr als gerechtfertigt. Die Fehler wurden zwischenzeitlich weitgehend von der Landesregierung eingesehen und teilweise auch bedauert, genauso wie das Fehlverhalten gegenüber den Andersdenkenden.

Die Lehren gehen jedoch weit über das Objekt Stuttgart 21 hinaus bis hinein in die Landkreise, Städte und Gemeinden. Wichtige Projekte in den Kommunen wurden in der Vergangenheit teilweise von den Bürgermeistern (Landräten) und den Gemeinderäten (Kreistagen) im praktizierten Herrschaftswissen und möglichst hoher Geheimhaltung auf dem Rücken der Bürger beschlossen. Nach dem Motto: nur die Gewählten (Volksvertreter) wissen, was für die Wähler (Bürger) gut ist. Basta. Das mag stimmen, solange man die Bürger in Unwissenheit lässt und unaufgeklärt hält. Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung, Information und Auseinandersetzung mit den Bürgern werden als mühsam missachtet. Aber die Zeiten ändern sich. Der Bürger hat mehr Selbstbewusstsein. Herrschaftsdenker und Geheimniskrämer haben nach Stuttgart 21 im Land sicher weiter an Boden verloren. Nicht nur alle an den Tisch sondern auch alle Fakten auf den Tisch. In einer Demokratie sollte das selbstverständlich sein. Ist es aber nicht. Auch in Bad Buchau nicht.

So ist die Schlichtung für alle gewählten Verantwortungsträger eine Lehrstunde, wie man Demokratie wirksamer, verantwortungsvoller umsetzen und pflegen sollte. Vielleicht würde dann der Block der Nichtwähler in Zukunft kleiner ausfallen.

Nachstehend Auszüge aus dem Schiedsspruch:

„…. Es wird die berechtigte Frage gestellt, ob die Bürger in Zukunft den Regierungen und den Parlamenten nachträglich in die Parade fahren und dadurch die repräsentative Demokratie gefährden dürfen. Aber In der Zeit der Mediendemokratie mit Internet, Facebook, Blogs und 1 Million Webseiten sowie der Organisation von 10.000den von Menschen per Mausklick kann die Demokratie nicht mehr so funktionieren wie im letzten Jahrhundert. Die Zeit der Basta Politik ist vorbei. Auch Parlamentsbeschlüsse werden hinterfragt. Sie müssen begründet und erläutert werden. Alternativen müssen offiziell ermöglicht und geprüft werden….

….Gesiegt hat die Demokratie. Der Schiedsspruch hat ergeben, dass die Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 mit verschiedenen Fragezeichen zu versehen ist. Es gibt wichtige und berechtigte Kritikpunkte der S 21 Gegner aufzugreifen, offensichtliche Schwachstellen zu beseitigen und Stuttgart 21 als Bahnknoten im Interesse der Menschen deutlich leistungsfähiger, baulich attraktiver, umweltfreundlicher, behindertenfreundlicher und sicherer zu machen

Ein Stresstest wird gefordert, um die Leistungsfähigkeit der Planung auf die weitere Zukunft sicherzustellen. Teilweise liegen Nachbesserungen jetzt schon fest und können durch den Stresstest auch noch folgen…..

….Massiven Vertrauenskriese der Politik im Allgemeinen und einer speziellen ebenfalls massiven Kritik an der Art und Weise des Zustandekommens und der Durchführung des Projekts Stuttgart 21. In den Augen vieler Bürgerinnen und Bürger waren mit diesem Projekt mehr ökologische, geologische und finanzielle Risiken als wirtschaftliche Chancen verbunden. Wichtiges Ziel der Schlichtung war daher durch Versachlichung und einer neuen Form der unmittelbaren Demokratie wieder ein Stück Glaubwürdigkeit und mehr Vertrauen für die Demokratie zurück zu gewinnen. Die Schlichtung hat mit dem sachlichen Austausch von Argumenten und der gleichberechtigten Teilnahme von Bürgern aus der Zivilgesellschaft etwas nachgeholt, was schon vor vier oder fünf Jahren hätte stattfinden sollen…….

…..In der Landtagssitzung vom 6. Okt. 2010, sagte Winfried Kretschmann an die Adresse der Landesregierung : „Glauben Sie mir die Hauptquelle des Protestes ist, dass sie den Protest gar nicht ernst nehmen und dass sie denken, die Gegner hätten noch nicht einmal gute Argumente.“ Diese Beschwerde müsste er heute nicht mehr vorbringen. Die Projektgegner und die K 21 Befürworter haben bewiesen, dass sie für das von ihnen ausgeübte Demonstrationsrecht gute Gründe haben. Sie sind nicht nur Protestler. Nicht nur alle an den Tisch sondern auch alle Fakten auf den Tisch….

…..Eine der Hauptgründe für das Misstrauen gegenüber der Politik und gegenüber der Wirtschaft ist die wachsende Undurchschaubarkeit der politischen und ökonomischen Vorgänge, wie sie sich in der zurückliegenden Finanzkriese gezeigt hat. Die totale Öffentlichkeit und Transparenz des Schlichtungsverfahrens sollte die Gegenposition zu praktizierter Geheimhaltung und Konservierung von Herrschaftswissen bilden…….

…..Die Schlichtung war daher auch moderne Aufklärung im besten Sinne von Manuel Kant, nämlich die Menschen zu befähigen, sich aus unverschuldeter Unmündigkeit zu befreien und dadurch jederzeit selbständig denken zu können, d.h. ein eigenes Urteil sich bilden zu können…..

….Wir brauchen nach meiner Auffassung in Deutschland eine Verstärkung der unmittelbaren Demokratie. Sicher kann das Schweizer Model nicht 1:1 auf Deutschland übertragen werden. Aber wir sollten, um Fehlentwicklungen bei Beschlüssen zu verhindern das Beteiligungsverfahren der Schweiz übernehmen. Die erste Phase: die Formulierung des Ziels, dann Abstimmung. 2. Phase Entwicklung der Pläne, möglicherweise mit Alternativen, dann Abstimmung. 3. Phase: Realisierung mit begleitender Begründung und Information…..“

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  1. Volle Zustimmung – die Montagsdemonstrationen wurden totgeschwiegen
    Eine Ergänzung zu meinem Kommentar über die Entstehung der Montagsdemonstrationen: Ich gebe dem Autor vollkommen Recht, der schrieb, dass S21 schon lange vom Tisch sei, wenn die Stuttgarter Medien über die Montagsdemos und den bürgerlichen Protest berichtet hätten. Sie haben es aber nicht. Und zwar wochen- oder gar monatelang. Das Thema wurde eisern totgeschwiegen. Sowohl von den StN wie auch von der StZ. Das kann ich bezeugen, weil ich das alles alles eng mitverfolgt habe. Beide Zeitungen hatten den den Protest und die Bürgerbewegung unter den Teppich gekehrt. Erst als es sich nicht mehr vermeiden ließ, angesichts der ständig wachsenden Menge (ich glaube, im Frühjahr), kam der erste zaghafte Kurzbericht darüber. Beide Printmedien müssen sich außerdem den Vorwurf gefallen lassen, niemals eine Gegenüberstellung von S21 mit dem modernen Kopfbahnhofkonzept durchgeführt zu haben. Selbst als dies ehrfach in den online-Leserbriefen angemahnt wurde. Es wurde ausschließlich über S21 und seine „Vorzüge“ berichtet. So, wie es von der Politik vorgegeben wurde. Das ist eine Tatsache, die ich bezeugen und unterschreiben kann. Ein Trauerspiel für die Stuttgarter Medienlandschaft. Bis heute. Die Stuttgarter Zeitung hat erst nach der Unterschrift unter die Finanzierungsverträge einigermaßen ausgewogen berichtet. Bis zu dieser Entscheidung hat sie, wie heute noch die StN, stramm für S21 geschrieben und so über S21 mitentschieden.

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