DGB-Landeschef Niko Landgraf mit MdB Martin Gerster

von links MdB Martin Gerster, DGB-Landeschef Niko Landgraf, der Biberacher SPD-Landtagskandidat Franz Lemli und der der DGB-Regionsvorsitzende Peter Fischer.

DGB-Landeschef Niko Landgraf sieht den Landkreis Biberach nicht als Ausnahme

„Wir brauchen mehr Gewerkschaftsmitglieder und starke, organisierte Betriebsräte“

Im Landkreis Biberach ist es wie überall in der Republik: Gilt es, freie Arbeitsstellen zu besetzen, geschieht dies vermehrt über Leiharbeit, Befristung und Billiglohn, und damit verschärft sich auch in der Region die soziale Schieflage. So lautete das Fazit des baden-württembergischen Landesvorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Niko Landgraf, beim Besuch im Wahlkreis des Biberacher SPD-Bundestagsabgeordneten Martin Gerster.

Etwa 40 Interessierte, darunter einige Betriebsräte, waren zum Abschluss des Tages ins Biberacher TG-Vereinslokal gekommen, um sich anzuhören, was der DGB gegen die wachsende soziale Spaltung tun will. Zuvor hatte sich Landgraf zusammen mit Gerster in dessen Wahlkreis drei Betriebe (Solaranlagenbau, Getränkeproduzent und Spedition) angeschaut und über die dortigen Arbeitsbedingungen informiert.

Zwei dieser Betriebe haben keinen Betriebsrat und eine der drei Firmen stellt inzwischen nur noch befristet ein. Das passt für Landgraf in den Trend: „Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist im Landkreis Biberach auf 67.000 gestiegen, aber gleichzeitig der Anteil der atypisch Beschäftigten, also Leiharbeit, Befristete, Hartz-IV-Aufstocker und Minijobs, von 24 Prozent 2003 auf jetzt knapp über 30 Prozent.“ Jeder zweite neue Arbeitsplatz sei eine Leiharbeitsstelle, und das dürfe nicht so bleiben, stellte der DGB-Landesvorsitzende klar. „Der DGB, auch hier in der Region, und seine Einzelgewerkschaften mobilisieren für die zentrale Kundgebung in Stuttgart am 13. November unter dem Motto ,Deutschland in Schieflage- Kurswechsel für mehr Gerechtigkeit‘.“

Einig seien sich SPD und DGB in dieser Situation jetzt sogar mit dem Deutschen Juristentag in der Forderung nach einem Mindestlohn, so Landgraf, „und zwar interessanterweise aus ganz praktischen Gründen: Die Sozialversicherungssysteme vertragen nicht die finanzielle Aufstockung von Arbeitseinkommen, die eigentlich die Existenz sichern müssten.“ Darüber müsse man die Menschen aufklären, stimmte Gerster zu, ebenso darüber, dass im Gegensatz zu Verkündigungen der Regierungsparteien das Hartz-IV-Geld durch Elterngeldanrechnung und Streichung des Heizkostenzuschusses de facto sinke, ebenso die Gelder für die Arbeitslosenqualifizierung.

In seiner Begrüßung hatte MdB Gerster die Gemeinsamkeiten von DGB und seiner Partei sowie die SPD-Mitgliedschaft von Landgraf hervorgehoben. Der sagte zwar, man müsse zeigen, wo man stehe und müsse auf die Straße gehen, aber: „Die Dinge, die wir kritisieren, haben SPD und Grüne gemacht“, nämlich in deren Regierungszeit von 1998 bis 2005. Er erkenne an, dass die SPD sich jetzt bewege. „Wir müssen diskutieren und nicht meinen, dass das automatisch läuft.“

In der Diskussion bestätigten Betriebsräte aus großen Biberacher Firmen, dass zumeist Leiharbeiter eingestellt würden, obwohl es dem Betrieb gut gehe. Verdi-Ortsvereinsvorsitzender Johannes Gerster berichtete, dass viele Kollegen nicht einsähen, sich für die gleiche Bezahlung von Leiharbeitern einzusetzen, wenn diese nicht einmal für den Mindestbeitrag in die Gewerkschaft gingen. Landgraf betätigte, dass hier noch viel zu tun sei: „Wir brauchen mehr Gewerkschaftsmitglieder und starke, organisierte Betriebsräte, dann können wir auch etwas für die Leute tun.“ Nur in jedem neunten Betrieb gebe es einen Betriebsrat, und die soziale Spaltung nehme weiter zu. Seit 2000 sei das Monatseinkommen eines Singlehaushalts der untersten Einkommensgruppe um rund 40 auf 645 Euro gesunken, gleichzeitig seien die größten Vermögen um zehn Prozent und die Zahl der Einkommensmillionäre in Baden-Württemberg auf 120.600 gewachsen.