Stadtstreicher Nr. 34

Stadtstreicher Nr. 34

Gottschalk tritt als Showmaster zurück, in Seekirch feiert man ein Schlachtfest und in Bad Buchau fällt man herrliche Bäume. Ein bunter Blumenstrauß von Nachrichten aus den letzten Tagen. Alle wert kommentiert zu werden, auch wenn die Fälle überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Aber es werden verschiedene interessante Aspekte aufgeworfen, über die man sich teilweise wundern, ärgern kann, oder auch überrascht ist .

„Ein großes TV-Kapitel wird geschlossen. Thomas Gottschalk gibt nach 24 Jahren die Moderation des ZDF-Zugpferdes <wetten dass….?> ab. Der Unfall des Kandidaten Samuel Koch war der Auslöser…. Zu Beginn der Jubiläumssendung zum 30. Geburtstag der Show in Halle/Saale erklärte der 60-jährige Lockenkopf, er könne nach dem Unfall des Wettkandidaten < in dieser Show nicht weitermachen, als wäre nichts passiert>….“. Ich muss sagen, das hat mich überrascht. Aber wie Gottschalk das rübergebracht hat, hat mich auch sehr beeindruckt. Der Unfall geht den Showmaster ganz offensichtlich doch sehr an die Nieren, obwohl er wirklich nichts dafür kann, außer dass er den Wettkandidaten eingeladen hat. Dennoch fühlt er sich moralisch und ethisch angeschlagen und herausgefordert. Das zeugt von Charakter und Moral. Ich bekunde davor hohe Achtung. Dies umso mehr, als man in heutiger Zeit im Showgeschäft, in Politik, in Wirtschaft aber auch in sonstigen Gesellschaftsdisziplinen von negativen Nachrichten und menschlichem Fehlverhalten überschwemmt wird. Ich möchte gar nicht anfangen solche Beispiele aufzuzeigen und für den Leser ist das wohl auch gar nicht nötig. Man braucht nur die Tageszeitung aufzuschlagen. Bei ähnlich aufrechtem Verhalten in der breiten Öffentlichkeit, fällt mir da aber nur der Fall Margot Käßmann, der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden, ein. Vielleicht gibt es auch noch ein paar ganz wenige andere spektakuläre Fälle, in denen man Farbe bekennt. Jedenfalls Politiker, Bänker oder sonstige Spekulanten fehlen in einer solchen Heldenauflistung so gut wie ganz. Bis bei diesen Geistern, das Gewissen einmal anschlägt, muss schon etwas ganz anderes passieren, bzw. der Druck der Medien und der Öffentlichkeit muss übermächtig werden. Mit einem Rücktritt, freiwillig und mit Anstand, hat das dann nichts mehr zu tun, auch wenn sich die Herrschaften noch so verbiegen. Aber so etwas wie bei Gottschalk oder Käßmann tut einem duldsamen Bürgerherz gut, ist Balsam für die geschundene Volksseele, lässt wieder hoffend und frei aufatmen. Es gibt sie noch, die Moral und Aufrichtigkeit vor dem eigenen Gewissen. Es gibt sie noch, die Menschen, die Hoffnung verkörpern und damit die Welt für „Gott“ öffnen. Dank solch leuchtender Vorbilder können wir immer wieder einen Neuanfang aus der Enttäuschung wagen.

Das Schlachtfest in Seekirch ist für den einen oder anderen kein Fest sondern schon eher ein makabres Zelebrieren unterentwickelten Brauchtums. Tatsächlich auch solche Mitmenschen gibt es. Dabei kommen wir sehr schnell in den Bereich der Doppelmoral oder der Scheinheiligkeit. Tiere müssen geschlachtet oder gejagt werden, bevor sie gegessen werden können. Ob das am Fließband schonender zugeht, lassen wir einmal völlig offen. Ob man dabei zusehen will, kann jeder selbst entscheiden. Allerdings wird man ins Schlachthaus kaum und ganz sicher in Schlachtfabriken keinen Zutritt erhalten. Also besteht heute so gut wie keine Gelegenheit mehr einer Schlachtung beizuwohnen und damit die Herstellung unserer Wurst zu verfolgen. Schrauben wir einmal die Zeit um zwei oder gar um drei Generationen zurück. Da gehörte im Herbst und im Winter im ländlichen Gebiet die Hofschlachtung zur Tagesordnung. Gut, eine Hofschlachtung war nicht gerade eine Schauschlachtung. Aber geheim und abgeschirmt war die Handlung auch nicht (vielleicht im Krieg bei der Schwarzschlachtung) und die Nachbarn nahmen meist mehr oder weniger Anteil, an dem „freudigen“ Ereignis, weil es da eben einen Tag lang einmal etwas mehr zu essen gab, als sonst. Und wir Kinder waren natürlich auch neugierig, wie da die Sau an der Leiter aufgerichtet wurde und der Metzger sein Messer ansetzte und… und… und dann endlich die beiden Schweinehälften schön sauber auf das Filetieren warteten. Ich lebe noch und habe keinen Schaden davongetragen. Auch meine Empfindungen funktionieren noch ohne Psychiater oder neurologische Behandlung, die Geschmacksnerven haben es auch überstanden. Also, ihr in Watte verpackten Sensibelchen und Obermoralisten, lasst die Sau im Dorf. Es geht hier um keine Verbrechensverherrlichung, sondern um eine ganz alltägliche Arbeitsverrichtung eines ehrenwerten Handwerks. Die darf heute in dieser Form wegen der strengen Hygienebestimmungen (und nicht aus moralischen Gründen) so nicht mehr ausgeübt werden. Ob unser Fleisch besser geworden ist? Oder gar die Menschen feinfühliger? Weniger durchschaubar ist unsere Nahrungskette sicher geworden. Die verschiedenen Lebensmittelskandale zeigen, hier gibt es gerade genug Panscher, Mäster und Massentierhalter ohne übertriebenes Feingefühl und Verantwortung. Von bäuerlicher Landwirtschaft kann man da sowieso nicht mehr sprechen (diese wird schon lange entweder von der EU oder von der Industrie gegängelt). Der stolze, etwas eigenwillige Bauer, ist ebenso passe. Besser eine Sau zur Schau geschlachtet, als massenweise Menschen hinterrücks und heimtückisch mit zweifelhafter Nahrung gesundheitlich zu gefährden. Aber vielleicht wollen manche da auch nicht so genau hinsehen? Oder man meint mit einem Prominenten-Schauessen alles überspielen zu können. Da könnte einem wirklich die Sau durchgehen. Den Seekircher Verantwortlichen möchte ich für ihre Standhaftigkeit danken und zur Fortsetzung dieses Tages auffordern.

Mein Freund der Baum, er steht noch im Morgenrot, am Abend aber ist er tot. Es handelt sich um kranke und alte Bäume, die eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen? So ein armer, alter Baum, der zwar etwas reumathische Fäulnis im Kern verspürt, dennoch jedes Frühjahr hoffnungsvoll seine Blätter aussendet, ist also eine Gefahr. Ich möchte das gar nicht bestreiten, etwas musste veranlasst werden. Wenn man so einen treuen Kameraden zig Jahre überhaupt nicht pflegt, hat er natürlich trockene Äste, die bei Sturm heruntergerissen werden. Der Mensch wäre auch ein heruntergekommener Struwwelpeter. Ach so, er steht nicht mehr gerade, hat Schlagseite. Das tat er aber schon seit vielen Jahren, ohne dass die Stürme ihm was anhaben konnten. Aber so eine Baumpflege und ein grundlegendes Zurückstutzen von einem spezialisierten Fachmann ausgeführt, kostet natürlich Geld und bringt manchen Aufwand mit sich. Alle paar Jahre neue Kontrollen und Begutachtungen müssen auch sein. Das ist lästig und landet immer wieder auf dem Rathausschreibtisch der hohen Herren . Und was lästig ist, wird vom Rathaus wegrationalisiert, nur keine Arbeit und keine Verantwortung. Ob das Bäume sind oder das Alters- und Pflegeheim. Die einen werden einfach umgehauen, das andere wird verpachtet. Damit hat man mit dem „überalterten Bestand“ keine Scherereien mehr. Die Ruhe auf dem Rathaus ist jedem heilig, auch dem Gemeinderat. Da wird das Übel gleich mit der Wurzel beseitigt. Als Bürger würde ich gerne wissen, ob ein Fachmann die Bäume begutachtet hat und wenn ja, wie das Protokoll lautet. Manche Gemeinden haben sogar eine „Baumsatzung,“ in der eine solche Begutachtung zwingend vorgeschrieben wird. Die Stuttgarter versetzen alte Laubträger noch. Das ist sicher wesentlich teurer. Soweit möchte ich nicht gehen. Unsinniges bleibt auch im Umweltschutz unsinnig. Da könnte man sich über die Verhältnismässigkeit verständigen. Ich frage mich natürlich, ob ein Naturschützer im Gemeinderat das überhaupt mitbekommen hat? Oder hat er vielleicht selbst das Gutachten erstellt? Eine Demonstration wegen dieses Vorfalls wird es bei uns kaum geben. Da sind wir Buchauer mit langfristiger Geduld ausgestattet. Darauf kann sich das Rathaus verlassen und auf das, was weg ist, auch. Nur ein umgesägter Baum ist ein guter Baum. Oder, nur ein ruhiger Bürger ist ein guter Bürger. So einfach ist das.