Stadtstreicher Kolumne Nr. 38

Frühlingserwachen

Nicht nur die Braunbären, die Igel, Schnecken, Lurche, Frösche und sonstige Lebewesen beenden ihren Winterschlaf, nein auch die Blumen, Bäume und Sträucher stehen vor dem Erwachen. Etwas weniger Laub dürfte es dieses Jahr in Bad Buchau schon sein. Ein paar herrliche Pappeln und Birken sind der Säge bzw. dem Federseesteg zum Opfer gefallen. Aber bei so viel Natur spielt das keine Rolle. Das behaupten übrigens auch die, die den Regenwald abholzen, die Strände mit Öl verseuchen auch die Wal- und Robbenfänger oder so manch andere, die Raubbau betreiben oder die Erde dem Marktkapital unterwerfen. Und irgendwie spüren wir auch, dass sich auf der Welt etwas verändert und das nicht unbedingt zum Vorteil. Dieses Gefühl sollten wir nicht verdrängen, sondern in das Jahr hinein mitnehmen und hin und wieder auch Konsequenzen ziehen.

Wie sagt Friedrich Schiller in „Die Teilung der Erde“: Nehmt hin die Welt! rief Zeus von seinen Höhen Den Menschen zu. Nehmt, sie soll euer sein! Euch schenk ich sie zur Erb und ewgen Lehen – Doch teilt euch brüderlich darein!

Die Welt wurde uns geschenkt, aber nicht, um diese zu vernichten sondern zum Erbe und Lehen. Kein vernünftiger Mensch vergeudet sein Erbe und wenn man etwas ausleiht, dann achtet man auf sorgsamen Umgang. Die unzähligen Kriege und Eroberungen in der Geschichte zeugen allerdings nicht von einer brüderlichen Teilung. Der „brüderlichen Umarmung“ ist man schon immer gerne aus dem Weg gegangen.

Aber bleiben wir beim Frühlingserwachen. Viele Begriffe und Bräuche rund um den Frühling, wie Frühlingsanfang, Frühlingserwachen, Frühlingsboten, Frühlingsblumen, Frühlingswetter, Frühjahrsputz, Frühlingsgefühle, Frühjahrsmüdigkeit, Frühjahrskuren, Frühlingsgedichte und Frühlingsfeste, zeigen die hohe Bedeutung, die der Frühling für den Menschen schon immer hatte und auch weiterhin haben wird. Alle großen Dichter haben ihre „Frühlingsgefühle“ in Gedichten und/oder Liebesbriefen mit voller Leidenschaft und Inbrunst zum Ausdruck gebracht.

Nun will der Lenz uns grüßen, von Mittag weht es lau;

aus allen Wiesen sprießen die Blumen rot und blau.

Draus wob die braune Heide sich ein Gewand gar fein

und lädt im Festtagskleide zum Maientanze ein.

Wer kennt es nicht, das alte unbeschwerte Volkslied aus Kindertagen?

oder

Frühling lässt sein blaues Band Wieder flattern durch die Lüfte;

Süße, wohlbekannte Düfte Streifen ahnungsvoll das Land.

Veilchen träumen schon, Wollen balde kommen.

—  Horch, von fern ein leiser Harfenton!

Frühling, ja du bist’s! Dich hab‘ ich vernommen!

Eduard Mörike

oder

Nur einmal bringt des Jahres Lauf uns Lenz und Lerchenlieder.

Nur einmal blüht die Rose auf, und dann verwelkt sie wieder;

nur einmal gönnt uns das Geschick so jung zu sein auf Erden:

Hast du versäumt den Augenblick, jung wirst du nie mehr werden.

Richard von Wilpert

Bei diesen Dichterworten fühlt man sich, wie irgendwo über dem Regenbogen. Der „bösen“ Welt entrückt, der Schöpfung neu zugewandt. Harmonie, Schönheit und Glück in der Wiedergeburt des Lebens, die uns in dieser Zeit so tausendfach umgibt. Wir Menschen brauchen diese Hochgefühle des Aufbruchs, um uns Kraft zu holen für Sommer (Werden und Gedeihen), Herbst (Reifen und Ernten) und Winter (Ruhen und Tod). Diese klar getrennten Zeitabläufe/Anforderungen sind heute jedoch oft verwaschen, verwoben und münden unmerklich in einem schwarzen Loch. Mit Ausnahme von Weihnachten und den Sommerferien, vielleicht? Immer der gleiche Trott und Stress vor dem Computer und am Fernsehschirm , am Schreibtisch oder am Fließband. Und das ganze Jahr ohne Unterbrechung wird gefestet und gefeiert. Eine „burn out“ Kultur ersten Ranges. Wenn sich nichts tut, stehen wir vor einer gähnenden Leere. Der Mensch muss funktionieren, ist auch ein Marktbestandteil. Von wegen Krönung der Schöpfung . Immer mehr nur noch klägliche Überreste?

Das Frühlingserwachen lädt uns ein, diesem zerstörerischen Getriebe zu entkommen. Irgendwo über dem Regenbogen finden wir zu uns selbst zurück, wenn wir bereit sind, uns darauf einzulassen. Die Einladung zum Durchatmen und Neubeginn beim Frühlingserwachen steht jedem offen. Die Fastenzeit auch.

Dass die Landtagswahl für Baden Württemberg auch gerade in diese Zeit des Neuaufbruchs fällt, ist natürlich reiner Zufall. Wie bei jeder anderen Wahl erhalten wir viele Versprechungen, die nicht auch noch eingehalten werden müssen. Nichts ist älter, als eine Wahlversprechung von gestern. Aber was kann in unserem „Musterländle“ denn überhaupt noch besser werden? Überall, wo man hinschaut, stehen wir im Südwesten an der Spitze. Das ist alleiniger Verdienst unserer Landesregierung. Das paukt man uns ein. Vielleicht auch noch ein ganz wenig der Verdienst unserer weitsichtigen Unternehmer und der strebsamen Bürger. Die CDU war dabei aber immer maßgeblich beteiligt, ein Erbhof. Und wie habe ich oben gesagt:“ Ein Erbe vergeudet man nicht.“ Das Gefährliche am Frühjahr allerdings ist, dass sich die Farben verändern. Nicht nur in der Tierwelt werden sie bunter und leuchtender auch andere Farben in der Landschaft kommen ganz neu hinzu. Aber schließlich wählen wir nicht das Frühjahr und einen neuen Aufbruch sondern die Landesregierung und Beständigkeit. „Wir können alles, ohne uns zu erneuern.“ Das macht uns keiner so schnell nach.

Der gegenwärtig laufende Benzinpoker mit“ E 10“ hat mit dem Frühlingserwachen auch nichts zu tun. Mal abgesehen davon, dass „im Märzen der Bauer die Rößlein einspannt“ und die Felder bestellt. Weizen-, Mais-, Zuckerrüben-, Rapsäcker usw.. Aber die braucht man nicht mehr zur Ernährung der Bevölkerung sondern als Energiequelle. Veredelung heißt das. So werden Kalorien in Kraftstoff gewandelt. Das ist eine neue, bessere Art der Welthungerhilfe. Komisch, bei der Welternährung hat man ein riesiges Problem mit der gerechten Verteilung der Lebensmittel. Bei der Energie spielt das keine Rolle. Da rodet man nicht nur Urwälder, nein auch sonst riesige Agrarflächen in den Entwicklungsländern werden mit Zuckerrohr oder ähnlichen Rohstoffen. bepflanzt, um bei uns Energiequellen zu strecken. Die erneuerbaren Energien am Agrarmarkt eröffnen auch eine neuartige Form der Sklavenhaltung. Eben auch eine Veredelung. Man spricht da von modernen Denkprozessen. Die beinhalten, dass anstelle von Getreide und Reis die neue Sklavengeneration mit Biobenzin abgespeist wird. Anstelle des Herzens werden Mikromotoren eingebaut. Anstelle des Frühjahrserwachens tritt eine Jahresinspektion. Und anstelle von Hungerlöhnen Blütenträume. Also alles Bio? Oder nur Öko? Auf jeden Fall Misswirtschaft und Divergenz wohin man blickt.

Also dann, bis zu neuen Frühlingsbotschaften im nächsten Jahr!